UX-Reifegrad: UX systematisch verbessern mit Maturity Modellen
Egal welche Branche – alle möchten (digitale) Produktentwicklung frühzeitiger und systematischer an Anwenderbedürfnisse und den Nutzungskontext ausrichten. Die Herausforderung besteht – wie so oft – im Veränderungsprozess. UX-Reifegradmodelle können helfen! Doch wie tun sie das?
Durch die voranschreitende Digitalisierung ändert sich das Marktumfeld und die Lebenswirklichkeit kontinuierlich. Für die erfolgreiche Platzierung innovativer Produkte am Markt fällt dem UX Design eine zentrale Bedeutung zu. In der Folge bedeutet dies, die digitale Produktentwicklung muss sich in Zukunft frühzeitig, stärker und systematischer an den Anwendungsbedürfnissen und dem Nutzungskontext ausrichten.
Die Herausforderung besteht – wie so häufig – bei der Kommunikation und der Umsetzung des Veränderungsprozesses. Wie können Entwicklungsteams unterschiedlicher Größe menschzentrierter arbeiten? Wie geht eigentlich “menschzentrierte digitale Produktentwicklung”? Bei der Veränderung helfen UX-Reifegradmodelle (UX maturity models). Doch wie tun sie das? In diesem Artikel erfahren Sie…
Was ist ein UX-Reifegradmodell?
Wenn wir von UX-Reife sprechen, geht es um das Ausmaß der Integration von Human Centered Design Methoden in einem Unternehmen oder einem Team. Vereinfacht gesagt ist die UX-Reife davon abhängig, welchen Stellenwert Nutzerzentrierung und UX in der Kultur, den Prozessen, den Technologien und bei Mitarbeitenden und Stakeholdern einnimmt.
Bei der Reifegrad-Analyse bewerten wir anhand fester Kriterien, wie reif eine Organisation in Bezug auf User Experience ist. Abhängig von Anforderungen und Schwerpunkten kommen hierbei unterschiedliche Reifegrad-Modelle zum Einsatz.
Daraufhin erfolgt die Einordnung auf eine entsprechende Stufe, um die vorhandenen UX-Fähigkeiten & das Bestreben nach Veränderung widerzuspiegeln.
Wozu dienen HCD-Reifegradmodelle?
HCD-Reifegradmodelle (Human Centered Design) dienen der systematischen Bewertung und Förderung der UX-Reife. Sie bieten eine solide Grundlage für die Entwicklung und Steuerung einer UX-Strategie, indem sie ermöglichen, Maßnahmen nachvollziehbar zu planen, umzusetzen und deren Erfolg zu messen.
Konkret liefern UX-Reifegradmodelle Erkenntnisse zu:
- Einschätzung des aktuellen Status-Quo hinsichtlich Menschzentrierung in der Produktentwicklung / in der Organisation
- Definition von (messbaren und konkreten) Zielen hinsichtlich der Menschzentrierung in der Organisation
- Identifikation von Ansatzpunkten zur Steigerung der menschzentrierten Aktivitäten, bzw. des HCD-Reifegrads
- Transparentes Bekenntnis zu einer Veränderungsbereitschaft der Stakeholder und der Organisation
- Systematisierung und Steuerung der Aktivitäten zur Reifegradsteigerung
- Bewertung von Aktivitäten und Maßnahmen zur Reifegradsteigerung
- Identifikation von relevanten Stakeholdern, Befürwortern & Skeptikern
- Bewertung und Auswahl von Lieferanten
Reifegradmodelle haben jedoch auch ihre Grenzen: die bloße Diagnose der UX-Reife führt nicht automatisch zu Verbesserungen; vielmehr bedarf es gezielter Maßnahmen und Strategien, um die identifizierten Mängel zu adressieren. Da die Tendenz besteht, die Komplexität einzelner Unternehmen und Prozesse zu vereinfacht zu betrachten, ist es wichtig, die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen nicht aus den Augen zu verlieren. Zudem suggerieren Maturity Modelle einen linearen Fortschrittsprozess, obwohl der Prozess zur Steigerung der Reife oft nicht linear verläuft und von Rückschritten geprägt ist.
Welche Maturity Modelle gibt es?
Kurz gegoogelt – und schon überfordert, denn es gibt nicht das eine, gängige Modell. Es gibt einfache und komplexe Ansätze von bekannten Autoren, UX-Gurus und renommierten Organisationen und Verbänden. Von erfahrungsbasierten, über wissenschaftlich fundierte, bis hin zu normierten Modellen, gibt es 4-stufige, 5-stufige- und 6-stufige Varianten.
Auch wenn sich viele Reifegradmodelle inhaltlich ähneln, ist es sinnvoll, sich mit einer Handvoll ausgewählter Modelle eingehender zu beschäftigen. Die Details und die kleinen, aber relevanten Unterschiede helfen, ein Verständnis und einen Überblick über unterschiedliche Sichtweisen und Facetten von UX-Reife zu erhalten. Im folgenden Abschnitt bekommen Sie einen Einblick in die die gängigsten Modelle. Nehmen Sie sich die Zeit, sie ist gut investiert.
Das UX Maturity Modell nach Nielsen Norman
Das Modell aus dem Jahr 2006 zählt zu den ältesten seiner Art und eignet sich besonders gut für Einsteiger in die Thematik. Es bietet spezifische Richtlinien und Werkzeuge, die zur Bewertung der UX-Reife einer Organisation dienen. Das Modell schafft eine klare Struktur, die es ermöglicht, den aktuellen Stand der UX-Praxis innerhalb einer Organisation zu erfassen. Zudem enthält es gezielte Empfehlungen, um auf verschiedenen Reifestufen Verbesserungen vorzunehmen.
Ursprünglich umfasste das Modell 8 Stufen (Maturity Stages). Aufgrund der signifikanten Veränderungen in der Entwicklung digitaler Produkte wurde das Modell jedoch angepasst. Die Erfahrungen bei der Anwendung des Modells haben zu einigen Anpassungen geführt. Die aktuelle Version von 2021 basiert nun auf 6 Reifegradstufen:
Stufe | Beschreibung |
---|---|
1. Absent | UX wird ignoriert oder ist nicht vorhanden. |
2. Limited | UX-Arbeit ist selten, wird willkürlich durchgeführt und hat keine Bedeutung. |
3. Emergent | Die UX-Arbeit ist funktional und vielversprechend, wird aber inkonsequent und ineffizient durchgeführt. |
4. Structured | Die Organisation verfügt über eine semisystematische UX-bezogene Methodik, die weit verbreitet ist, aber mit unterschiedlichem Grad an Effektivität und Effizienz. |
5. Integrated | Die UX-Arbeit ist umfassend, effektiv und allgegenwärtig |
6. User-driven | Das Engagement für UX auf allen Ebenen führt zu tiefgreifenden Erkenntnissen und außergewöhnlichen benutzerzentrierten Design-Ergebnissen. |
Das umfangreiche Framework zeichnet sich unter anderem durch seine übersichtliche Strukturierung der Bewertungskriterien aus. Diese gliedern sich in die übergeordneten Dimensionen: Strategie, Kultur, Prozesse und Ergebnisse. Im Rahmen dieser lassen sich die Stärken und Schwächen im Bereich User Experience übersichtlich bewerten und die aktuelle Reife ableiten. Hervorgehoben wird, dass alle Faktoren im gemeinsamen Zusammenspiel wirken und einander verstärken.
Darüber hinaus beschreiben die Autor*innen exemplarisch, wie ein Unternehmen von Stufe zu Stufe vorankommt und mit welchem Aufwand gerechnet werden kann. Ausführliche Informationen und Infografiken finden Sie im NNGROUP-Artikel „The 6 Levels of UX Maturity“.
Das UX Maturity Model des UXQB
Auch das International Usability & User Experience Qualification Board (UXQB) beschreibt in seinem Curriculum zum neuen UX-Zertifizierungslehrgang „CPUX-M – Essentials in UX and HCD-Management” ein eigenes 6-stufiges Reifegradmodell (siehe CPUX-M Curriculum).
Dieses Modell legt Wert auf standardisierte UX-Praktiken und Qualifikationen. Es unterscheidet sich vom Nielsen Norman Modell durch seinen Fokus auf formale Qualifikationen und standardisierte Bewertungskriterien.
Etwas vereinfacht werden die Stufen wie folgt beschrieben:
Stufe | Beschreibung |
---|---|
1. Incomplete | • Keine HCD-Aktivitäten |
2. Performed | • HCD-Aktivitäten werden ad hoc durchgeführt und nicht im Voraus geplant |
3. Managed | • Zum Teil werden HCD-Aktivitäten vor Projektbeginn geplant und der Plan wird befolgt und überwacht; bei Bedarf wird der Plan angepasst |
4. Established | • Alle Projekte halten sich an das Menschzentrierte Qualitätssystem |
5. Predictable | • KPIs werden verwendet, um den Erfolg und die Qualität eines Produkts zu definieren und zu messen |
6. Innovating | • Entscheidungen und Maßnahmen der Organisation beruhen auf User Research und einer aktiven Einbeziehung der Nutzer*innen |
Steigende UX-Reife geht in diesem Modell primär mit 2 Faktoren einher: dem Verständnis von HCD und dem Grad der Implementierung eines systematischen HCD-Prozesses. Je höher beide Faktoren, und je stärker HCD zur Erreichung von Geschäftszielen eingesetzt wird, desto reifer das Unternehmen.
Eine besondere Eigenschaft des Modells: es gibt keinen Fragenkatalog oder eine Bewertungsmatrix, mit deren Hilfe man an eine Einschätzung / Reifegrad-Analyse herangehen kann. Für die praktische Umsetzung bedeutet das Know-How und Aufwand, denn die Bewertungskriterien müssen intern entwickelt werden. Empfohlen wird ein neutraler UX-Experte zur Erhebung des Reifegrads, um eine unbefangene Erhebung wie z. B. in Stakeholder-Interviews zu gewährleisten.
CUXM: Das Corporate Customer & User Experience Maturity Model
Das 6 stufige Corporate C&UX Maturity Model wurde von Ulf Schubert federführend entwickelt. Es ist ein community-basiertes Reifegradmodell von UX Professionals für UX Professionals und wurde zuletzt im Jahr 2021 aktualisiert. In der kollaborativen Entwicklung liegt eine offensichtliche Stärke: Das erarbeitete Rahmenwerk basiert auf der Erfahrung diverser, erfolgreicher UX-Expert*innen und Best Practices erfolgreicher Unternehmen.
Im Unterschied zu beiden vorherigen Modellen fokussiert das CUXM die Experience. Das verdeutlicht die notwendige enge Verzahnung von CX und UX bzw. die Notwendigkeit einer Betrachtungsweise i.S.d. Menschzentrierung, die das Kundenerlebnis in seiner Gesamtheit beeinflussen will.
Die Bewertungskriterien werden hier anhand von 13 Facetten differenziert beschrieben. Innerhalb dieser Facetten lässt sich anhand definierter Fragenkatalogs die UX-Reife analysieren. Eine detaillierte Beschreibung ginge an dieser Stelle zu weit, Interessierte können sich auf dem user-experience-blog informieren.
Das „Neue UX Maturity Modell“ von Nathalie Hanson
Der Titel-Zusatz „Neu“ trifft insofern, denn der Fokus unterscheidet sich deutlich von den vorherigen Frameworks, die der Autorin zu detailreich waren, um sie in der alltäglichen Arbeit mit Kund*innen sinnvoll zu nutzen. Also entwarf sie ihr „New Maturity Model“ mit dem primären Ziel, etwas Anschauliches zu haben, um den Dialog über UX-Dienstleistungen mit ihren Geschäftspartnern zu eröffnen und den wahren Wert von UX deutlich zu machen.
Ihr Modell legt Wert auf Agilität und die Fähigkeit zur schnellen Anpassung an neue Technologien, Marktanforderungen und Nutzerbedürfnisse.
Der Integrationsgrad von UX stellt sich bei ihr in 4 Stufen dar, die sich im Kern jeweils um eine Frage drehen:
- Unconscious Design
Wer entscheidet, wie Nutzer mit einer Lösung umgehen? - User Interface (UI)
Ist die Lösung funktional und attraktiv? - User Experience (UX)
Kann die Lösung einen Messbaren Effekt/Mehrwert erzielen? - End-to-End Experience
Wie gut passt die Lösung in den Nutzungskontext / Journey der Zielgruppe?
Dieses Modell betrachtet einen weiteren Rahmen als die Vorangehenden. Wir denken Nathalie Hansen hat ihr Ziel erreicht. Gerade für Unternehmen/Stakeholder mit sehr wenig HCD/UX Vorwissen, kann dieser Einstieg und die resultierenden Erkenntnisse sehr hilfreich sein. Es verdeutlicht und vereinfacht z.B. den Unterschied zwischen UI-Design und UX-Design anschaulich.
Ergänzend gibt es auf der Webseite eine gute Übersicht zu weiteren UX-/Design-Maturity Modellen.
UX-Reifegrad nach Charlie Kreitzberg
Das Modell von Charlie Kreitzberg – Sr. UX Advisor @ Princeton University – wurde direkt abgeleitet von Nielsens 2006er Version der Maturity-Stages.
Es legt den Schwerpunkt auf die praktische Anwendung von UX im Entwicklungsprozess und die Entscheidungsfindung, mit einem besonderen Augenmerk auf die schrittweise Integration von UX in Projekte und Teams. Hierbei vollzieht sich die Reifung der UX-Prozesse über sechs aufeinander aufbauenden Ebenen. Vorstellbar wie eine Pyramide, bei der die unterste Stufe sinnbildlich für die schwersten Blöcke steht, die als Fundament der Pyramide dienen. Bildlich möchte er somit auf die Zeit & Mühe auf dem Weg zu einer „Holistischen UX-Kultur“ aufmerksam machen.
Weitere Details finden Sie im Artikel „UX Maturity: How good is your Organization practicing UX?“
Welches Maturity Modell eignet sich am besten?
Nachdem wir uns einen Überblick verschafft haben, könnte man annehmen: Es gilt, das Modell zu finden, das am besten zur aktuellen Situation und den Zielen des Unternehmens passt. Je nach individueller Situation ist es wichtig zu evaluieren, ob ein bestehendes Modell direkt angewendet werden kann oder ob eine Anpassung oder Kombination verschiedener Modelle erforderlich ist.
Dabei hängt die Entscheidung für ein bestimmtes Modell von Unternehmensmerkmalen (wie Größe, Branche sowie Art der Produkte oder Dienstleistungen) und insbesondere von der aktuellen UX-Reife (Tautologie!), bestehenden Ressourcen und eigener Erfahrung ab. Die Empfehlung liegt nah: Eine professionelle Expert*innen-Einschätzung kann hierbei von Vorteil sein, um die Eignung der verschiedenen Modelle für den spezifischen Anwendungsfall zu beurteilen.
Aber: Trotz dieser Differenzen ist die grundlegende Struktur und die Interpretation niedriger und hoher UX-Reife in der Praxis ähnlich, was bedeutet, dass die Wahl des Modells weniger entscheidend ist, als oft angenommen.
Unser Tipp: Viel erfolgskritischer als die Wahl des Reifegradmodells ist die fundierte Analyse des aktuellen Status-Quo. Nur dadurch lassen sich konkrete nächste Schritte und Optimierungspotentiale hinsichtlich Menschzentrierung identifizieren und umsetzen. Der iterative Charakter menschzentrierter Prozesse und die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Modellen in der Praxis können aufzeigen, dass sich im Verlauf der Analyse vielleicht ein anderes Modell als passender erweist. Wichtig ist es erstmal loszulaufen und den Ist-Zustand festzuhalten.
Wie Sie einen Quick-Check Ihrer UX-Reife vornehmen und wie wir bei einer fundierten Reifegrad-Analyse vorgehen, erfahren Sie in den folgenden Abschnitten.
Wie ermittele ich den UX-Reifegrad meines Unternehmens?
Wie arbeitet man effektiv mit diesen Modellen? Die Implementierung und Nutzung von UX-Reifegradmodellen in der Praxis erfordern ein methodisch-strukturiertes Vorgehen. Dieses Vorgehen lässt sich idealtypisch in mehrere Phasen unterteilen:
- Planung
- Projektinitialisierung
- Reifegrad-Analyse
- Datenerhebung
- Auswertung
- Maßnahmen & Ziele definieren
- Maßnahmen durchführen
Betont werden sollte, dass es sich hierbei um einen iterativen Prozess handelt. Auch ein kontinuierliches Change Management ist während des gesamten Prozesses von Bedeutung. Die konsequente Ausrichtung am Nutzenden ist ein Ziel, das langsam, aber sicher während des gesamten Prozesses verfolgt und internalisiert werden muss.
Im Folgenden erhalten Sie einen kompakten Überblick über die einzelnen Phasen. Für tiefere Einblicke, eine konkrete Auseinandersetzung mit Beispielen und Herausforderungen in der Anwendung von UX-Reifegradmodellen empfehlen wir unser ausführliches 20-seitiges Whitepaper „Menschen im Mittelpunkt
– Ein Leitfaden zur strategischen Implementierung von UX im Unternehmen“ von Katrin Götzer.
Projektinitialisierung mit einem Auftaktworkshop
Der Auftaktworkshop markiert den Beginn des Projektes und zielt auf ein erstes Gefühl für den Ist-Zustand ab. Hierbei werden Unternehmensumfeld, die Prozesse sowie die Verantwortlichkeiten betrachtet. Ein halber, besser ein ganzer Tag ist ideal, um ein grundlegendes Verständnis zu gewährleisten. Die Agenda umfasst folgende Kernpunkte:
- Impuls zum Thema Reifegrade und UX-Strategie
Dieser Teil bringt alle Teilnehmenden auf denselben Wissensstand und legt die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von UX-Reife. - Perspektiven auf UX-Reife
Diskussion über Sichtweise auf UX-Reife und anhand welcher Merkmale Teilnehmende diese festmachen. Dies fördert ein tiefgreifendes Verständnis für unternehmensspezifische Besonderheiten. - Individuelle Selbsteinschätzung
Jede Person verortet das Unternehmen im Reifegradmodell - Stakeholder-Identifikation
Relevante Stakeholder werden gemeinsam identifiziert inkl. der Einschätzung „Förderer oder Verhinderer von UX-Initiativen“ - Analyse der Prozesse
Ein Blick auf den Produkt- und Serviceentwicklungsprozess hilft, Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis zu erkennen und die tatsächliche Integration der Nutzendenperspektive zu bewerten.
Die Diskussion über Hürden und Herausforderungen ermöglicht es, die alltäglichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung nutzerzentrierter Lösungen zu dokumentieren. Konkrete Beispiele illustrieren, warum bestimmte Lösungen trotz besserer Alternativen aus der Nutzerperspektive implementiert wurden.
Die gewonnenen Erkenntnisse stellen das weitere Vorgehen auf eine solide Grundlage. Von großem Wert ist: Stakeholder aus allen wichtigen Positionen werden früh in den Prozess mit einbezogen!
Reifegrad ermitteln
Es folgt die detaillierte Status Quo-Analyse mittels des ausgewählten UX-Reifegradmodells. Ziel ist es, eine fundierte interne Bestandsaufnahme vorzunehmen, die in der Regel folgende Fragen klärt:
- Aktivitäten und Methoden
Welche Human Centered Design (HCD) Methoden werden eingesetzt, wie erfolgreich sind diese und nach welchen Kriterien wird der Erfolg gemessen? - Rollen und Organisation
Welche Rollen sind im HCD-Prozess aktiv und wie sind diese Akteure organisiert? - Prozesse und Verantwortlichkeiten
Sind diese klar definiert oder gibt es Konflikte zwischen dem UX-Team und anderen Stakeholdern? - Budgetierung
Steht ausreichend Budget zur Verfügung, um eine nachhaltige Nutzerzentrierung zu gewährleisten?
Wie werden die Daten in einer Reifegradanalyse erhoben?
Die Daten werden primär auf zwei Wegen gesammelt: Zum einen durch direkte Gespräche bzw. Interviews mit Stakeholdern und zum anderen durch die Sichtung von Unternehmensdokumenten. Diese zweigleisige Herangehensweise ermöglicht es, ein umfassendes Bild der aktuellen UX-Reife zu zeichnen.
Anonymisierte Stakeholder-Interviews dienen dabei als direkte Quelle, um individuelle Einsichten und Perspektiven zu sammeln. Diese werden durch eine Bewertung entlang der Dimensionen des jeweiligen Reifegradmodells ergänzt – beispielsweise das CUXM-Modell, das eine Bewertung auf 13 Dimensionen mit etwa 230 Fragen vorsieht, unter Berücksichtigung des Mehr-Augen-Prinzips. (Vgl Grafik x)
Da nicht alle Modelle fertige Fragenkataloge bereitstellen, kann die Entwicklung eigener Fragebögen erforderlich sein, was mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein kann. Auch die Auswahl der Interviewpartner, zu denen Mitglieder der Produktteams, des Marketings, der Entwicklungsabteilungen, des Designteams und der Führungsebene gehören können, erfordert Erfahrung, um aussagekräftige und valide Ergebnisse zu erzielen.
Die Sichtung von Unternehmensdokumenten wie Organigrammen und Prozessdokumentationen ergänzt die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse. Sie liefert wichtige Informationen über die Organisationsstruktur und die Abläufe innerhalb des Unternehmens, was zur Identifizierung weiterer relevanter Stakeholder für detaillierte Analysen beiträgt.
Daten auswerten
Die Ermittlung des UX-Reifegrades ist ein mehrstufiger Prozess, der sowohl qualitative als auch quantitative Analysen umfasst:
Qualitative Analyse
Durch Inhaltsanalysen der Interviewtranskripte werden wiederkehrende Themen und Muster identifiziert. Die Codierung und Kategorisierung der Antworten erfolgt nach den Dimensionen des UX-Reifegradmodells. Es lohnt sich immer auch einen qualitativen Blick auf Einzelmeinungen zu werfen!
Quantitative Analyse
Die statistische Auswertung der Fragebögen, z. B. durch Mittelwertbildung je Dimension, ermöglicht einen quantitativen Überblick über die UX-Reife. So kann die UX-Reife anhand des gewählten Modells bewertet und klassifiziert werden.
Die Ergebnisse werden übersichtlich in Diagrammen visualisiert. Dies erleichtert die Interpretation der umfassenden Analyseergebnisse. (Vgl. Grafikslider 7)
Maßnahmen & Ziele definieren
Auf Basis der ermittelten UX-Reife entwickeln wir nun gezielte Strategien und Maßnahmen, die exakt auf die spezifischen Anforderungen und Herausforderungen des Unternehmens zugeschnitten sind.
Es folgt die Definition eines Ziel-Reifegrades. Unter Berücksichtigung der Unternehmensziele wird bestimmt, welche Verbesserungen im Bereich der User Experience Priorität haben und was konkret erreicht werden soll. Mit einer Gap-Analyse werden Diskrepanzen ermittelt. Diese identifiziert präzise, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht, um den definierten Ziel-Reifegrad zu erreichen und leitet über zu spezifischen Maßnahmen für die Verbesserung.
Es werden sowohl kurz- als auch langfristige Maßnahmen festgelegt, die das Unternehmen schrittweise zu einem höheren UX-Reifegrad führen sollen. Abhängig von der aktuellen Reifestufe können unterschiedliche Aktionsbereiche wie Management, UX-Controlling, Unternehmenskultur und Evangelisation in den Vordergrund rücken. Wichtig ist die Identifikation der Schlüsselbereiche und die Erstellung einer Roadmap. (Vgl. Grafik Slider 7)
Um diese Maßnahmen effektiv zu gestalten, hat sich ein 2-tägiger Workshop bewährt, in dem gemeinsam ein Maßnahmen-Set ausgearbeitet und an die Strategie angeglichen wird.
Ein essentieller Schritt, der oftmals übersehen wird, ist die Betrachtung des gesamten Bildes und die Festlegung bzw. Anpassung einer UX-Vision und -Strategie. Dies sollte idealerweise synchron mit der Ausarbeitung der Maßnahmen erfolgen.
Entwicklung von KPI & Messkonzept
Essenziell für die nachhaltige Steigerung des UX-Reifegrades ist die kontinuierliche Überwachung und regelmäßige Neubewertung des Fortschritts. Dies nicht nur, um den Erfolg umgesetzter Maßnahmen zu messen, sondern auch, um bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen und einen dauerhaften Verbesserungsprozess zu etablieren. Dabei zeigt sich oft, dass die herkömmlichen Messkonzepte den Erfolg nur bedingt abbilden. Unser Rat ist, diesen Moment zu nutzen, um Ihre ReportingMethoden zu verfeinern. Überdenken Sie Ihre Metriken zur Erfolgsmessung unter Berücksichtigung der verschiedenen Stakeholder und Interessengruppen. Eine solche Anpassung ist ein integraler Bestandteil des Veränderungsprozesses und unterstützt die Organisation dabei, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Weiterführendes Webinar: UX-Strategie entwickeln
In unseren kostenlosen Webinaren teilen unsere Expert*innen regelmäßig ihr Know-how aus Theorie und Praxis. Sie erhalten strukturierte Einblicke und wertvolle Tipps zu diversen Themen rund um User Experience und Digitalisierung.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenDurchführung & Implementierung von Maßnahmen
Die tatsächliche Implementierung der Maßnahmen ist ebenfalls ein Schritt, der mehr strategisches Denken und sorgfältige Koordination erfordert, als man denken mag.
Dies umfasst die Planung und tatsächliche Durchführung der Aktionen: Priorisierung der Maßnahmen, Zuordnung von Ressourcen und Festlegung von Zeitplänen. Auch hier eignet sich das Workshop-Format – erstens, um die Ergebnisse zu kommunizieren und zweitens, die Maßnahmen zu diskutieren und abzusegnen.
Ebenso kritisch ist das Stakeholder-Management, um Unterstützung zu gewährleisten und potenzielle Risiken, die die Implementierung beeinträchtigen könnten, zu minimieren. Die Roadmap sollte klar definierte Meilensteine enthalten, die eine strukturierte und nachvollziehbare Umsetzung ermöglichen.
Fazit: von einzelnen UX-Maßnahmen zur UX-Strategie
Sie haben es geschafft, wir hoffen, es hat sich gelohnt! Die Arbeit mit Reifegradmodellen schafft eine fundierte Basis zur Entwicklung einer ganzheitlichen UX-Strategie. Sie macht deutlich, in welche Bereiche investiert werden muss. Dabei ergibt sich eine lustige Tautologie: Eine Maßnahme zur Steigerung der UX-Reife kann sein, eine UX-Strategie zu entwickeln, gleichzeitig ist die Steigerung der UX-Reife Teil der Strategie.
Abschließend lässt sich feststellen, dass Assessments für die UX-Reife einen Grundpfeiler für die Entwicklung einer UX-Strategie darstellen. Erst die Analyse der aktuellen Situation bringt die individuell notwendigen Handlungsfelder ans Licht.
Die willkürliche Anwendung der propagierten Maßnahmen müssen nicht zwangsläufig zum Erfolg führen, dafür sind sie zu allgemeingültig. Erst die Anpassung an individuelle Gegebenheiten unter Einbeziehung möglicher Hindernisse und Alternativen macht daraus eine brauchbare UX-Strategie.
Und: Man darf sich nichts vormachen, zur erfolgreichen Umsetzung braucht es einen langen Atem und motivierte UX-Enthusiasten. Menschzentrierung wird auch hier spürbar, da es auf die Menschen ankommt, die bei der Unternehmenskultur die zentrale Weiche für Erfolg oder Misserfolg stellen. Erfolg im Sinne von einem Unternehmen, in dem menschzentrierte Gestaltung ins Erbgut übergegangen – also Teil der DNA geworden ist.
Quellenangaben
Textquellen
Dieser Artikel basiert teilweise auf Informationen aus früheren Beiträgen des usabilityblog.de. Einige der ursprünglichen Artikel sind möglicherweise nicht mehr zugänglich.
1 „Welche Qualitäten sollte ein User Researcher besitzen?“ | Stefanie Peters (2018) auf usabilityblog.de
2 „Qualities of Effective User Researchers“ | Jim Ross (2017) uxmatters.com
3 „Warum UX? 21 Gründe, weshalb wir UX lieben“ | eresult Expert*innen (2021) eresult.de