UX-Methodenwahl – Hilfe bei der Qual der Wahl
Die Auswahl der Methode steht am Anfang jedes User Experience Research Projektes. Diese Auswahl ist nicht immer einfach. Jede Methode hat ihre besonderen Vor- und Nachteile, die es abzuwägen gilt. Methodenmatrizen klassifizieren User Research Methoden nach bestimmten Kriterien und können so als erste Eingrenzung bei der Entscheidungsfindung helfen.
Zahlreiche User Experience Research Methoden eignen sich, um ein Produkt oder,eine Anwendung – also ein komplexes System – nutzerzentriert zu entwickeln. Diese Methoden dienen dazu, das Feedback der Nutzenden einzuholen sowie deren Anforderungen und Nutzungskontexte zu identifizieren. Diese Erkenntnisse werden dann bei der weiteren Entwicklung berücksichtigt. Die bekannteste Methode ist der klassische Usability-Test im Labor.Neben dieser Methode gibt es jedoch eine Vielzahl anderer Methoden. Die Auswahl einer passenden Methode ist nicht einfach, da viele Kriterien der einzelnen Methoden gekannt und gegeneinander abgewogen werden müssen. Im folgenden Beitrag erfahren Sie:
Auswahl der richtigen User Research Methode
Bei dieser Auswahl können Methodenmatrizen helfen. Diese klassifizieren die genannten Methoden anhand verschiedener Kriterien und verdeutlichen relevante Unterscheidungsmerkmale. Die Auswahl der passenden Methode kann anhand dieser Übersichten eingegrenzt werden. Im Folgenden werden mehrere Methodenmatrizen dargestellt. Diese können als eine erste Entscheidungshilfe bei der Auswahl einer passenden Methode genutzt werden.
UX-Methoden unterscheiden sich hinsichtlich der Datenmenge und Erhebungsart
In der ersten Methodenmatrix wählt Christian Rohrer die beiden Klassifizierungskriterien „Gegenstand der Beobachtung“ und „Beschaffenheit der erhobenen Daten“ (siehe Abb.1).
Das Kriterium „Gegenstand der Beobachtung“ ordnet die Methoden danach, ob mit diesen primär das konkrete Verhalten der Nutzenden oder deren Aussagen erhoben werden sollen. Die Methoden werden somit dahingehend klassifiziert, ob sie sich eher zur Beobachtung eignen, was Nutzende tatsächlich tun, oder ob sie eher dazu dienen, Meinungen und Einstellungen von Nutzenden zu erfassen.
Das zweite Kriterium „Beschaffenheit der erhobenen Daten“ teilt die Methoden dahingehend auf, ob die damit generierten Daten qualitativer oder quantitativer Natur sind. Mit qualitativen Daten können eher Fragen beantwortet werden, die die Ursachen von Verhalten untersuchen. Quantitative Daten bieten dagegen eine gute Einschätzung, wie häufig ein bestimmtes Verhalten auftritt.
Diese zweigliedrige Klassifizierung ergänzt Rohrer um eine dritte Dimension, bei der es um den Kontext der Produktverwendung während der Datenerhebung geht. Diese dritte Dimension wird in vier Kategorien unterteilt und stellt dar, inwiefern die nutzende Person im „natürlichen Umfeld“ der Nutzung beobachtet wird. In einer ersten Kategorie fasst Rohrer Methoden zusammen, die sich durch eine Beobachtung der Nutzung im „natürlichen Umfeld“ kennzeichnen.
In einer zweiten Kategorie folgen Methoden, die bei der Durchführung der Methode das eigentliche Produkt nicht nutzen – der Kontext ist wortwörtlich geskriptet. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Methode Card Sorting. Es werden zwar die Rubriken einer Navigation sortiert, die Navigation selbst muss dabei jedoch nicht genutzt werden. Die dritte Gruppe der Methoden untersucht die Nutzung eines Produktes nicht in seinem natürlichen Kontext, sondern basiert auf „künstlichen“ Szenarien. Als vierte Kategorie führt Rohrer Methoden an, die einen Hybrid aus den drei zuvor genannten Kategorien darstellen.
Rohrers Methodenmatrix (Abb. 2) ordnet die Methoden somit anhand der Daten, die eine Verwendung der jeweiligen Methode erzeugt (qualitativ oder quantitativ), des Beobachtungsgegenstandes (Verhalten oder Einstellungen) und des Bezuges der Erhebung zur tatsächlichen Nutzung des Produktes (freie Nutzung/szenariobasierte Nutzung/keine Nutzung/Kombination).
Einteilung anhand der Produktentwicklungsphasen
Christian Rohrer bietet in einer Tabelle einen weiteren Ansatz, UX-Methoden zu ordnen und auszuwählen. In der hier abgebildeten Tabelle (Abb. 3) teilt er verschiedene Methoden dem Entwicklungszyklus eines Produktes zu: Strategie, Design, Einführung und Überprüfung. Demnach eignet sich eine Nutzertagebuch-Studie vor allem in der Strategie-Phase. Card Sorting oder auch Usability-Studien sieht er in der Designphase als bestens geeignet, um die Benutzerfreundlichkeit zu verbessern. Zudem ist während der Einführung und Überprüfung beispielsweise das A/B-Testing geeignet, um die Produktleistung zu beurteilen.
Ähnlich haben wir von eresult die Methoden danach geordnet, in welcher Phase in der Entwicklung eines Produktes die Methoden besonders hilfreich sind: „Research“, „Konzeption“, „Design“ oder „Betrieb“ (siehe Abb. 4). Dabei kann es jedoch immer Ausnahmen geben. Im jeweiligen Projekt-Kontext kann es durchaus vorkommen, dass eine Methode, die eigentlich eher der Phase „User Research“ zugeordnet wird, zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll eingesetzt werden kann. Beispielsweise kann eine Fokusgruppe auch während der Phase „Betrieb” hilfreich sein, um qualitatives Feedback zum Status quo zu generieren.
In unserer Klassifizierung werden die Methoden auch (Zwischen-)Zielen zugeordnet (siehe graue Boxen, Abb. 4). So lässt sich erkennen, welche UX-Methoden (siehe türkise Boxen) genutzt werden können, um ein bestimmtes (Zwischen-)Ziel im UCD (User Centered Design) Prozess zu erreichen: Um eine Informationsarchitektur neu zu gestalten, bietet sich beispielsweise ein offenes Card Sorting an. So kann dieses Schaubild genutzt werden, um sich zu vergewissern, welche Methoden in der gegenwärtigen Projektphase hauptsächlich in Frage kommen und um zu verstehen, welche Methoden genutzt werden können, um ein bestimmtes Arbeitsziel (z. B. Personas) zu erreichen.
In Abbildung 5 werden die Methoden den jeweiligen Aktivitäten der UX-Professionals zugeordnet. Hier werden die Methoden vier Kategorien zugeordnet: Einige Methoden eignen sich besonders, um (1) Probleme zu erkennen, (2) Ideen zu sammeln, (3) Ideen zu bewerten und (4) die Ideen zu validieren. So kann mit Hilfe dieses Schaubildes die Entscheidung unterstützt werden, welche Methoden sich eignen, um ein gesetztes Ziel zu erreichen.
Weitere Kriterien um UX-Methoden zu vergleichen
Die Methoden lassen sich natürlich noch nach zahlreichen anderen Kriterien aufteilen. All diese Kriterien können dabei helfen, eine geeignete Methode auszuwählen.
Eine weitere Möglichkeit, UX-Tools und Methoden zu unterscheiden ist der Grad der Beteiligung echter Nutzender bei der Durchführung der Methode. Bei einer Fokusgruppe oder bei einem klassischen Usability-Test stehen beispielsweise User wesentlich mehr im Fokus, als bei einer Expert Review. Hierbei verlässt man sich – wie der Name verrät – ausschließlich auf das Know-How eines UX- und Usability Experten.
Außerdem lassen sich die User Experience Research Methoden danach unterscheiden, welcher Aspekt der Usability und der UX eines Systems (Effektivität, Effizienz und Zufriedenstellung) mit einer bestimmten Methode am besten untersucht werden kann. Möchte man die Zufriedenstellung der Nutzer mit einem Produkt erforschen, eignen sich vor allem standardisierte Fragebögen, wie der UEQ, SUS oder AttrakDiff. Die Aspekte Effizienz und Effektivität können gut in einem Lab-Test untersucht werden. Die Effizienz einer Navigation lässt sich beispielsweise auch mit einem Tree-Testing Tool (z. B. Treejack von Optimal Workshop) genauer untersuchen. Dabei wird die Zeit gemessen, in der die Nutzenden eine bestimmte Aufgabe lösen konnten.
Viele Faktoren sind entscheidend: Vor allem eine klare Fragestellung
Dies sind einige Möglichkeiten UX- und Usability-Methoden zu klassifizieren, um die Methodenwahl zu unterstützen. Diese Klassifizierungen können durchaus dabei helfen, die passenden Methoden für eine Fragestellung auszuwählen. Unsere langjährige Projekterfahrung zeigt jedoch, dass dies nur als eine Art Vorauswahl genutzt werden sollte und, dass diese Matrizen nicht das Know-How eines Experten ersetzen können. Denn obwohl die Matrizen die Methoden ordnen, müssen die einzelnen Eigenschaften der Methoden gegeneinander abgewogen werden, um eine passende Methode auswählen zu können. Hierbei müssen die Stärken und Schwächen der Methoden berücksichtigt werden. Das Verständnis für diese Stärken und Schwächen kann zwar auch theoretisch erlernt werden, verfestigt und erweitert sich jedoch in der täglichen Arbeit mit den unterschiedlichen Methoden.
Voraussetzung für die Entscheidung ist vor allem, dass die zu bearbeitenden Fragen und Probleme klar und eindeutig definiert sind. Nur dann können die passenden Methoden ausgewählt werden, um im UCD-Prozess effektiv und effizient voranzuschreiten.
Die Probleme und Fragestellungen, die mit UX-Methoden bearbeitet werden, sind sehr individuell, sodass die Auswahl einer Methode auf vielen Faktoren eines Projektes basiert und nur schwer durch eine Matrix bestimmt werden kann.
Dabei spielt beispielsweise auch die Zeit eine entscheidende Rolle: In agilen Sprints ist nicht immer genügend Zeit vorhanden, um aufwändige Research Methoden durchzuführen.
User Researchbei agiler Produktentwicklung
Eine agile Produktentwicklung schließt die Anwendung von User Experience Research Methoden keinesfalls aus. Um erfolgreiche Produkte zu entwickeln, ist die Zusammenarbeit mit den Anwendern elementar. Es geht darum, funktionierende Produkte auch im Sinne der Akzeptanz zu entwickeln. Das Team sollte regelmäßig mit realen Nutzenden testen. Dass vor allem die vorhandene Zeit eine kritische Komponente darstellt, ist bereits zur Sprache gekommen, deshalb sind User Feedback Days das Mittel zur Wahl. In festgelegten Abständen – z. B. einmal pro Monat – wird mit 5-6 Probanden getestet und die Ergebnisse fließen direkt in die Weiterentwicklung ein. So können das Konzept überprüft und Fehler in der Umsetzung schnell aufgedeckt werden.
Fazit: Methodenmatrizen erleichtern den Überblick, die Lösung ist oft ein Methodenmix
Abschließend noch einmal zusammengefasst: Methodenmatrizen helfen, einen Überblick über die vorhandenen Methoden zu erlangen und eine erste grobe Einschätzung vorzunehmen, welche Methoden geeignet sein könnten. Die genauere Beurteilung ist jedoch multidimensional. Selten kommt dabei nur eine Methode in Frage. Häufig ist eine Kombination mehrerer Methoden zu empfehlen, wobei die Schwächen einer Methode durch eine weitere Methode behoben werden können. Folgende Fragen können ergänzend zu den vorgestellten Methodenmatrizen bei der Methodenwahl unterstützen:
- Wie viel Zeit steht für UX Research zur Verfügung?
- Welche Ressourcen können auf diese Methoden verwendet werden?
- Welcher Stand der Entwicklung soll getestet werden (Wireframes, Klick-Dummy, die „Grüne Wiese“ etc.)?
- Und vor allem: Welche Fragestellungen sollen beantwortet werden und welche Daten können dabei helfen?
Quellenangaben
1„Welche Qualitäten sollte ein User Researcher besitzen?“ | Stefanie Peters (2018) auf usabilityblog.de
2„Qualities of Effective User Researchers“ | Jim Ross (2017) uxmatters.com
3„Warum UX? 21 Gründe, weshalb wir UX lieben“ | eresult Expert*innen (2021) eresult.de
4 Rohrer, C. (2014): When to Use Which User-Experience Research Methods