So gestalten Sie Usability-Tests mit Kindern

Kinder sind neugierig, unvoreingenommen und gehen ganz anders mit digitalen Produkten um als Erwachsene. Genau deshalb sind klassische Usability-Methoden hier oft nicht Eins-zu-Eins übertragbar. Von der Auswahl der Teilnehmenden über die Gestaltung kindgerechter Testaufgaben bis hin zur passenden Umgebung – jeder Schritt muss auf ihre speziellen Bedürfnisse abgestimmt sein. Doch wie gelingt das in der Praxis?

Wie gestaltet man Usability-Tests für Kinder effektiv und kindgerecht? Unser Beitrag liefert praxisnahe Tipps zu Planung, Kommunikation und Aufgabenstellung, um wertvolle Einblicke in die Nutzungserfahrung der jüngsten Zielgruppe zu gewinnen.

Autor*in: Helke Kohlbrandt

Veröffentlicht: Zuletzt aktualisiert:

Kategorie: Usability Testing

8 Min. Lesezeit
Kinderhände bedienen ein ipad und es liegen Würfel daneben.
Quelle: Robo Wunderkind | unsplash

Warum ist die Gestaltung kinderfreundlicher Systeme herausfordernd?

Bei der Entwicklung von interaktiven Systemen und Produkten für Kinder ist es wichtig, Kinder nicht einfach als kleine Erwachsene zu betrachten. Ihre Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Interaktionsweisen mit Technologie unterscheiden sich grundlegend von denen der Erwachsenen.

Die Annahme, man könne sich einfach in ein Kind hineinversetzen, indem man sich an die eigene Kindheit erinnert, ist ebenfalls ein Trugschluss. Kinder nutzen moderne Technologien intuitiv, die für Erwachsene während ihrer eigenen Kindheit lediglich Bestandteil von Science Fiction waren. Ein Beispiel dafür ist das Swipen auf Touchscreens. Deshalb ist es wichtig, die Designprozesse vollständig auf die Nutzerperspektive der Kinder auszurichten, um sicherzustellen, dass die entwickelten Produkte ihre spezifischen Anforderungen erfüllen.

Worauf achten beim klassischen Usability Testing mit Kindern

Beim Usability Testing mit Kindern gibt es besondere Herausforderungen und Anforderungen, die berücksichtigt werden sollten. Vier zentrale Aspekte spielen dabei eine Rolle:

  1. Rekrutierung und Auswahl der Teilnehmenden
  2. Gestaltung der Testaufgaben und Studienleitfäden
  3. Technische Vorbereitung und Testumgebung
  4. Durchführung und Interaktion während des Tests

Diese Punkte werden im Folgenden genauer erläutert.

Rekrutierung und Auswahl der Teilnehmenden

Grundlagen der Rekrutierung
Bei der Rekrutierung von Kindern für UX-Tests ist eine sorgfältige Planung notwendig. Es ist wichtig die Eltern einzubeziehen. Zum einen ist ihr Einverständnis für die Testteilnahme essenziell. Zum anderen können sie dabei helfen einzuschätzen, ob das Kind den Anforderungen des Tests hinsichtlich seines Wissens und seiner Fähigkeiten entspricht.

Eine Überrekrutierung kann sinnvoll sein, um Ausfälle zu kompensieren. Auch wenn keine Person ausgefallen ist, sollte in Erwägung gezogen werden, auch die Überrekrutierungen durchzuführen. Meistens freuen sich die Kinder sehr, neue Dinge ausprobieren zu können, z. B. ein neues Spiel, und wären dann sehr enttäuscht, wenn sie den Test nicht machen könnten, weil sie die Überrekrutierung sind.

Segmentierung der Teilnehmenden
Jugendliche stellen eine besonders heterogene Gruppe dar. Ihre Fähigkeiten hängen stark vom Alter ab. Aber auch spezifische Interessen spielen dabei eine große Rolle. Eine differenzierte Betrachtung und Segmentierung sind bei der Auswahl entscheidend, um relevante Ergebnisse zu erzielen.

Testdauer mit Puffer planen
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kann zu häufigeren Unterbrechungen führen. Kinder reagieren z. B. oft stärker auf umweltbedingte Störungen, die den Verlauf des Interviews verzögern. Ein größeres Bedürfnis nach Pausen, kürzere Aufmerksamkeitsspannen und die allgemeine Unruhe der jungen Teilnehmenden können die mögliche bzw. sinnvolle Testdauer beeinflussen. Dieser Umstand sollte bei der Planung der Interviewslots berücksichtigt werden.

Altersgerechte Anreize
Die Wahl des Anreizes kann die Zufriedenheit und Motivation der Teilnehmenden maßgeblich beeinflussen. Während Bargeld bei älteren Jugendlichen beliebt ist, können für jüngere Kinder Geschenke oder Gutscheine attraktiver sein. Die Kombination aus monetären Anreizen und physischen Geschenken kann sowohl die Kinder als auch deren Eltern ansprechen.

Auswahl sozialer Teilnehmender
Kinder und Jugendliche können sich in der Testumgebung unwohl fühlen, insbesondere wenn sie mit unbekannten Erwachsenen interagieren müssen. Die Auswahl offener und kommunikativer Teilnehmender kann die Durchführung erleichtern und die Qualität der Ergebnisse verbessern.

Einverständniserklärungen
Für die Teilnahme Minderjähriger ist die vorherige Unterzeichnung von Einverständniserklärungen durch die Eltern notwendig. Bei älteren Teenagern (16–17 Jahre) sollten diese Formulare vorab ausgefüllt werden, um rechtliche Klarheit zu schaffen, wenn die Eltern beim Test selbst nicht anwesend sind.

Gestaltung der Testaufgaben und Studienleitfäden

Vorbereitung der Teilnehmenden
Es ist entscheidend, dass die Teilnehmenden das Szenario des Tests verstehen und in der Lage sind, die gestellten Aufgaben und deren Ziele in ihren eigenen Worten zu umschreiben. Dies stellt sicher, dass sie genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Besonders bei Kindern muss darauf geachtet werden, dass sie sich nicht überfordert fühlen. Ihnen sollte stets der Eindruck vermittelt werden, dass sie alles richtig machen.

Altersgerechte Sprache
Die Kommunikation mit Kindern erfordert eine Sprache, die sie verstehen. Dies beinhaltet die Verwendung von einfachen, klaren Anweisungen und den Verzicht auf komplexe Begriffe oder Fachjargon. Für Kinder im Lesealter sollten die Aufgabenstellungen und Instruktionen in einer altersgerechten Sprache verfasst sein. Bei Vorschulkindern empfiehlt sich die mündliche Erteilung von Anweisungen.

Anpassung an das Entwicklungsstadium
Aufgaben sollten realistisch und umsetzbar sein und das Entwicklungsstadium sowie den Erfahrungsschatz der Kinder berücksichtigen. Beispielsweise ist es nicht sinnvoll, von einem 7-Jährigen zu erwarten, dass er ein Konto erstellt und einen E-Commerce-Checkout-Prozess durchläuft.

Vermeidung von Vorgaben
Bei der Formulierung der Aufgaben sollte darauf geachtet werden, keine UI-spezifischen Begriffe zu verwenden, die den Teilnehmenden Hinweise geben könnten. Dies kann insbesondere bei jüngeren Teilnehmenden, die eine weniger ausgeprägte Recherchefähigkeit haben, zu verzerrten Ergebnissen führen.

Vielfalt der Aufgaben
Um die Teilnahmebereitschaft und das Engagement zu fördern, ist es wichtig, ein breites Spektrum an Aufgaben vorzubereiten, die unterschiedliche Interessen berücksichtigen. Aus diesem Spektrum können dann ggf. einzelne Bereiche ausgewählt oder übersprungen werden, um auf die Teilnehmenden individuell eingehen zu können. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche, die schneller gelangweilt sein können und somit möglicherweise vorzeitig keine wertvollen Rückmeldungen mehr geben.

Umgang mit Desinteresse oder Überforderung
Wenn Kinder während des Tests das Interesse verlieren oder sich überfordert fühlen, können kurze Pausen hilfreich sein. Sollte ein Kind den Test nicht fortsetzen wollen, ist es wichtig, ihm dennoch Anerkennung für seine Beteiligung zu zeigen und sicherzustellen, dass es die Situation positiv verlässt.

Durchführung und Interaktion während des Tests

Einbindung der Eltern
Die Anwesenheit eines Elternteils ist für die Teilnahme von Kleinkindern unerlässlich, um Vertrauen zu schaffen und bei Bedarf unterstützend einzugreifen. Eltern sollten jedoch angewiesen werden, die Kinder selbstständig agieren zu lassen.

Kindgerechte Raumgestaltung und Atmosphäre
Der Testraum sollte eine lockere, kinderfreundliche Atmosphäre bieten, ohne von der eigentlichen Testaufgabe abzulenken. Elemente wie bunte Poster, Spielzeug und kindgerechte Möbel helfen, eine einladende Umgebung zu schaffen.

Um eine und gleichberechtigte Kommunikation zu fördern, ist es wichtig, sich physisch auf die Ebene der Kinder zu begeben und mit ihnen tatsächlich auf Augenhöhe zu kommunizieren. Dazu kann man sich beispielsweise hinknien oder kleinere Möbel nutzen.

Zwei Perspektiven eines kindgerecht eingerichteten UX-Testraums mit Sofa, Stofftier und Schreibtisch.
Kindgerechter Testraum, leider ohne spezielle Kindermöbel

Kommunikation und Aufgabenstellung
Zu Beginn sollte Zeit eingeplant werden, um eine Verbindung zum Kind aufzubauen und eventuelle Ängste abzubauen. Dies kann durch einfache Fragen zu den Interessen des Kindes und durch das Angebot, gemeinsam zu spielen, erfolgen. Das Stichwort: Lernt euch kurz persönlich kennen!

Die Aufgaben und Ziele sollten in einer klaren, altersgerechten Sprache kommuniziert werden. Besonders bei jüngeren Kindern kann dies auch spielerisch erfolgen, indem man sie bittet, ihre Erfahrungen in eigenen Worten zu teilen. Starten Sie mit einfachen Aufgaben, um das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken, und erhöhen Sie schrittweise den Schwierigkeitsgrad. Achten Sie darauf, Aufgaben realistisch und umsetzbar zu gestalten. Falls Feedback in Form von Skalen oder ähnlichem eingeholt wird, sollte auf eine kindgerechte Gestaltung, z. B. durch Symbole statt durch Begriffe geachtet werden.

Bestärken Sie die Kinder für ihre Teilnahme und ihren Beitrag, um ihnen zu zeigen, dass ihre Meinung geschätzt wird. Dies fördert eine offene und ehrliche Feedbackkultur.

Nicht-verbale Hinweise beachten
Kinder drücken sich oft non-verbal aus. Achten Sie daher auf Körpersprache und Mimik, um Reaktionen und Gefühle richtig zu interpretieren.

Flexibilität und Geduld
Planen Sie genügend Zeit für die Tests ein, um den kürzeren Aufmerksamkeitsspannen von Kindern Rechnung zu tragen. Bereiten Sie sich auf unvorhergesehene Pausen oder Abbrüche vor und haben Sie Ersatzteilnehmer*innen zur Hand.

Seien Sie bereit, flexibel auf die Bedürfnisse und Reaktionen der Kinder zu reagieren. Dies kann bedeuten, die Reihenfolge der Aufgaben anzupassen oder die Methodik zu wechseln, um das Interesse aufrechtzuerhalten.

Technische Vorbereitung und Testumgebung

Für die Durchführung von Usability-Tests, insbesondere mit Anwendungen wie Spiele-Apps für Kinder, sind spezifische technische Vorbereitungen notwendig:

Anforderungen an das Testgerät und die Umgebung
Vor Beginn eines remote durchgeführten Tests sollte ein Technikcheck durchgeführt werden, um die Funktionalität der Technik zu gewährleisten und eventuelle Fragen der Erziehungsberechtigten zu klären.

Bei einem Test vor Ort in einem Testlabor sollten Testgeräte mit der Anwendung bereitgestellt werden. Es sollte den Kindern und Jugendlichen aber auch die Möglichkeit gegeben werden, das eigenen Gerät nutzen zu können, soweit vorhanden.

Bei der Nutzung eigener Geräte beachten
Eigene Geräte der Teilnehmenden sollten auf Einschränkungen wie z. B. eine Kindersicherung, die Einschränkung der Nutzungsdauer oder – uhrzeit überprüft werden. Sofern sie die für den Test notwendigen Funktionen einschränken, sollten die Einschränkungen während der Dauer des Tests ausgeschaltet werden.

Zudem sollte sichergestellt werden, dass der Sperrbildschirm deaktiviert und das Testgerät vollständig aufgeladen oder eine Lademöglichkeit vorhanden ist.

Gestaltung der Testumgebung vor Ort

Wir raten zur Auswahl eines Raumes ohne Ablenkungen, z. B. durch ein großes Fenster mit Blick auf eine belebte Straße. Gegebenenfalls kann sogar die Auswahl eines fensterlosen Raumes sinnvoll sein.

Die Bereitstellung von z. B. Taschentüchern für laufende Nasen, die Verwendung von Stühlen ohne Räder und möglicherweise die Verwendung von Sitzhilfen für kleinere Kinder helfen, eine angenehme und sichere Testumgebung zu schaffen.

Fazit

Wir hoffen, dass die vielen praxisnahen Tipps ein anschauliches Gesamtbild vermittelt haben: Usability-Tests mit Kindern erfordern eine spezielle Herangehensweise, die sich deutlich von Tests mit Erwachsenen unterscheidet.

Jedes Detail zählt – von der sorgfältigen Planung über eine einfühlsame Moderation bis hin zur klaren, kindgerechten Kommunikation. Nur so lassen sich aussagekräftige Ergebnisse gewinnen, die wertvolle Einblicke in die tatsächliche Nutzererfahrung dieser besonderen Zielgruppe liefern – einer Zielgruppe, der wir selbst längst entwachsen sind.

Aus Erfahrung können wir sagen: Das Testen mit Kindern ist anders. Es kann herausfordernd sein, erfordert Geduld und Flexibilität – aber es macht vor allem eines: Spaß! Denn Kinder testen ehrlich, direkt und oft mit einer Begeisterung, die UX-Tests zu einem besonderen Erlebnis macht.

Haben Sie bereits eigene Erfahrungen rund um UX-Tests mit Kindern gemacht? Kommentieren können Sie weiter unten. Wir freuen uns darauf!

Quellenangaben

Dieser Artikel basiert teilweise auf Informationen aus früheren Beiträgen des usabilityblog.de. Einige der ursprünglichen Artikel sind möglicherweise nicht mehr zugänglich.

„10 Tipps für’s Usability Testing mit Kleinkindern“ | Jumana Al Issawi (2015) | eresult.de
„Remote UX-Testing mit Kindern – Das haben wir daraus gelernt“ | Sina Steep (2022) | usabilityblog.de

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