Im ersten Teil meiner Blogbeitragsserie zum Thema Omnichannel-Experience haben wir uns mit dem aktuellen Status Quo der deutschen Omnichannel-Landschaft beschäftigt. Das ernüchternde Fazit: Omnichannel funktioniert hierzulande noch nicht so, wie es eigentlich sollte. Die GOES-Studie1 von Anfang 2022 zeigt deutlich, dass viele Retailer es bisher noch nicht schaffen, die Ansprüche der Konsumenten an ein nahtloses Einkaufserlebnis zu erfüllen. Stellt sich somit die Frage: Woran liegt‘s?
In diesem Beitrag wollen wir uns daher einmal mit den Herausforderungen, vor denen Unternehmen bei der Umsetzung und Weiterentwicklung einer Omnichannel-Strategie stehen, beschäftigen. Zudem werfen wir auch noch einen Blick auf Chancen, die sich durch eine optimierte Omnichannel-Strategie ergeben können.
Keine Frage – der Anspruch der Konsumenten an ein nahtloses Einkaufserlebnis ist hoch. Viele Unternehmen stehen derzeit noch vor der großen Frage, wie sie die neuen Kundenwünsche überhaupt erfüllen können. Dabei gibt es einige Herausforderungen, die die Umsetzung einer Omnichannel-Strategie für viele Unternehmen erschweren.
Laut einer im März 2022 im Rahmen der EHI-Studie„Connected Retail 2022“ durchgeführten Online-Befragung2 von Händlern im deutschsprachigen Raum, sehen mehr als 70% der 115 Teilnehmenden die IT als größte Herausforderung an. Die Verknüpfung der verschiedenen Kanäle setzt vor allem eine zentrale Datenbasis der Artikel, Kundendaten sowie Fulfillment-Prozesse voraus. In der Praxis bereitet die Datenverknüpfung den meisten Unternehmen noch enorme Schwierigkeiten. Dies liegt vor allem daran, dass bei vielen die einzelnen Kanäle separat entstanden sind und oft in organisatorischen Silos verwaltet werden. Damit ist eine direkte Verknüpfung der Daten – schlicht und einfach – gar nicht möglich. In den meisten Fällen muss der stationäre Handel die komplette Supply Chain neu ausrichten und – sofern möglich – digitalisieren. Auch müssen die entsprechenden Geschäftsprozesse kanalübergreifend aufeinander abgestimmt werden, was heute noch viele Unternehmen vor Herausforderungen stellt. Aber auch personelle Ressourcen spielen eine große Rolle dabei, warum es mit der Umsetzung und Weiterentwicklung von Omnichannel-Services meist nicht so recht funktioniert. Denn eine zielgerichtete Omnichannel-Strategie erfordert digitale Kompetenz und vielen Unternehmen fehlt es an Personal mit entsprechenden Qualifikationen.
Oft ist es aber auch ausgerechnet die eigene Unternehmenskultur, die der Digitalisierung im Wege steht – denn auch hier mangelt es häufig noch an einem Digital Mindset. Zudem lässt sich feststellen, dass sich viele Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Omnichannel-Strategie ausschließlich auf das Angebot von Crosschannel-Services fokussieren. Zwar ist dies ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch liegt der Fokus hierbei hauptsächlich auf der Verzahnung von Online zu Offline. Beim Omnichannel muss es jedoch auch andersrum funktionieren. Um am POS (Point of Sale) die Verknüpfung zur Online-Welt zu schaffen und ein inspirierendes Einkaufserlebnis zu bieten, muss sich daher auch das Ladenkonzept der stationären Geschäfte einer umfassenden Digitalisierung unterziehen.
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen digitalen informations- und kommunikationsbezogenen Technologien, die am POS eingesetzt werden können. Die sogenannten Instore-Technologien verändern die Ladengestaltung, indem sich analoge und digitale Warenpräsentationen auf der Fläche zu einem inspirierenden Einkaufserlebnis ergänzen. Zudem sorgen einige dieser Technologien auch dafür, dass operative Vorgänge im Laden effizienter ablaufen und damit Kosten eingespart werden können. Eine entscheidende Rolle bei der Verzahnung der Kanäle spielt jedoch auch die Smartphone-Nutzung und das mobile Internet. Durch Instore-Technologien in Kombination mit Mobile-Diensten und Apps, die auf dem Smartphone der Kundinnen und Kunden verwendet werden, können sogar noch weitere innovative Omnichannel-Lösungen am POS realisiert werden.
Hier ein paar Beispiele3:
Digitale Regalverlängerung bei Decathlon
QR-Codes zur Weiterleitung in den Online-Shop oder Teilnahme an einem Online-Gewinnspiel bei Decathlon
Aufsteller mit QR-Code zum App-Download und Onboarding-Screens der App bei Rossmann
QR-Codes zur Weiterleitung auf die Website mit „Virtual Try On“ für Make-up bei Rossmann
Elektronisches Regaletikett für das dynamische Pricing im E center Stroetmann in Münster (links) und smarte Etiketten mit QR-Code bei MediaMarkt (rechts)
In 2019 eröffnete der Modeanbieter bonprix in Hamburg einen auf Smartphone-Basis vollautomatisierten Pilot-Store, in dem die Kundinnen und Kunden im QR-Scan-Retail-Verfahren kaufen können. Mit der bonprix-App auf dem Smartphone checken die Kund*innen in den Laden ein, scannen die Artikel und wählen die Größen aus, die sie anprobieren möchten. Die ausgewählten Kleidungsstücke werden dann in der virtuellen Einkaufstasche der App gesammelt und in einer Kabine vorbereitet. Der „Digital Mirror“ in der Umkleidekabine fungiert als interaktiver Touchscreen-Spiegel, über den andere Größen direkt in die Umkleidekabine nachbestellt werden können. Wer eine persönliche Beratung wünscht oder Hilfe benötigt, ruft per Knopfdruck das Ladenpersonal. Nach dem Verlassen der Kabine mit den gewünschten Kleidungsstücken aktualisiert sich die Einkaufstasche der App mit Hilfe von RFID-Technologie automatisch. Zudem können die Kund*innen verschiedene (auch mobile) Bezahlmöglichkeiten wählen.7
Interaktive Umkleidekabine im bonprix Flagship-Store in Hamburg
Instore Navigation über Visible Light Communication im EDEKA-Store Düsseldorf
AR-App des Fashion-Retailers Zara (2018)
Scan & Go bei Decathlon
Auch Decathlon bietet seinen Kundinnen und Kunden in ausgewählten Stores bereits ein Scan & Go Verfahren an. Dabei ist der Service auch als Web-Interface nutzbar, so dass die entsprechende App nicht unbedingt runtergeladen werden muss.13
Die Aufzählung der möglichen Technologien könnte noch beliebig lang weitergehen, denn mit der fortschreitenden Digitalisierung gibt es auch immer mehr neue Möglichkeiten, um am POS eine Verknüpfung zur Online-Welt zu schaffen und so die Vorteile beider Welten zu kombinieren und auszuschöpfen. Die Bereitschaft der Kunden und Kundinnen digitale Technologien zu nutzen steigt – jetzt müssen sie allerdings auch von den Retailern flächendeckend eingesetzt werden. Unternehmen stehen hier vor allem vor der Schwierigkeit der Implementierung durch hohe Investitionskosten. Die Umsetzung der gebotenen Technologien eröffnen jedoch auch enorme Chancen zur Verbessrung des ganzheitlichen Kundenerlebnisses. Wie das? Es geht natürlich um Daten!
All diese Technologien haben den großen Vorteil, dass durch ihre Nutzung die Kundendaten systematisch und kanalübergreifend erfasst werden können. Somit kann also auch im stationären Geschäft das Kaufverhalten genaustens analysiert werden.14 Für Unternehmen bietet sich damit die große Chance, tiefgreifende Einblicke in die Customer Journey ihrer Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Wie die meisten, die schon einmal eine Customer Journey Map ihrer (potenziellen) Zielgruppe erstellt haben, wissen dürften, ist hier ein wesentlicher Faktor die Erhebung und Sammlung von Daten. Je mehr Daten von den Nutzenden zur Verfügung stehen, desto besser wird die Map. Mit dem richtigen Customer Journey Mapping können dann Gaps in der Journey erkannt und passende Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden, um diese Lücken zu schließen und somit das Kundenerlebnis weiter zu optimieren.
Nebenbei schaffen diese Technologien für Kunden und Kundinnen ein personalisiertes, bequemes und effizientes Einkaufserlebnis, indem sie die Vorteile des Online-Handels mit dem des stationären Geschäfts verbinden. Dies kann folglich zu einer Erhöhung des Engagements, der Kundenloyalität und schlussendlich auch zu mehr Umsatz führen. Die Investition kann also langfristig nur Gutes bringen!
So weit, so gut! Nun kennen wir den aktuellen Status Quo der deutschen Omnichannel-Landschaft, wissen was Konsumenten wirklich wollen, welche Herausforderungen für Unternehmen bei der Umsetzung einer Omnichannel-Strategie bestehen und wie neue Technologien auch Chancen mit sich bringen. Im dritten Teil meiner Blogbeitragsserie betrachten wir dann – unter anderem anhand eines Selbstversuchs – wie aus UX-Sicht ein effektives Omnichannel-Erlebnis geschaffen werden kann und worauf wir als UX-Professionals dabei achten müssen.
1 Die GOES-Studie steht unter folgendem Link als kompaktes Booklet zum Download zur Verfügung: https://www.thinkwithgoogle.com/intl/de-de/insights/customer-journey/omnichannel-ist-das-new-normal-im-handel/
2 EHI Retail Institute – Connected Retail: Herausforderungen zur Umsetzung und Weiterentwicklung von Omnichannel-Services – Anteil der im März 2022 im Rahmen der EHI-Studie „Connected Retail 2022“ befragten Händler (in Prozent) (https://www.handelsdaten.de/e-commerce/connected-retail-omnichannel-services-herausforderungen-umsetzung-weiterentwicklung)
3Vgl. auch Heinemann, G. (2012). No-Line-Handel: Höchste Evolutionsstufe im Multi-Channeling (German Edition) (2013. Aufl.). Wiesbaden, Deutschland: Springer Gabler;
vgl. auch Heinemann, G. (2017). Die Neuausrichtung des App- und Smartphone-Shopping: Mobile Commerce, Mobile Payment, LBS, Social Apps und Chatbots im Handel (German Edition) (1. Aufl. 2018);
vgl. auch Brandão, T. K., & Wolfram, G. (2018). Digital Connection: Die bessere Customer Journey mit smarten Technologien – Strategie und Praxisbeispiele (German Edition) (1. Aufl. 2018). Wiesbaden, Deutschland: Springer Gabler
4eyefactive GmbH – Smart Retail Technologien für POS (https://www.eyefactive.com/smart-retail-technologien-pos)
5Vgl. auch Brandão, T. K., & Wolfram, G. (2018). Digital Connection: Die bessere Customer Journey mit smarten Technologien – Strategie und Praxisbeispiele (German Edition) (1. Aufl. 2018). Wiesbaden, Deutschland: Springer Gabler
6EHI Retail Institute – Handel investiert in Hightech-Tags (https://www.stores-shops.de/technology/smart-store/handel-investiert-in-hightech-tags/)
7bonprix – bonprix Store Hamburg City (https://www.bonprix.store/)
8Vgl. auch Brandão, T. K., & Wolfram, G. (2018). Digital Connection: Die bessere Customer Journey mit smarten Technologien – Strategie und Praxisbeispiele (German Edition) (1. Aufl. 2018). Wiesbaden, Deutschland: Springer Gabler
9Philips – Indoor-Navigation mit Philips LED-Beleuchtung sorgt für innovatives Einkaufserlebnis bei EDEKA Paschmann (https://www.philips.at/a-w/about/news/archive/standard/news/lighting/080317-indoor-navigation.html)
10Vgl. auch Heinemann, G. (2017). Die Neuausrichtung des App- und Smartphone-Shopping: Mobile Commerce, Mobile Payment, LBS, Social Apps und Chatbots im Handel (German Edition) (1. Aufl. 2018)
11Vgl. auch Deges, F. (2019). Grundlagen des E-Commerce. Wiesbaden, Deutschland: Springer Gabler.
12
etailment – Technologie: So funktioniert Amazon Go: Die Technik hinter dem Zauberwort „Sensor Fusion“. Abgerufen 3. Januar 2020, von etailment.de/news/stories/Technologie-So-funktioniert-Amazon-Go-Die-Technik-hinter-dem-Zauberwort-Sensor-Fusion-20194
13Decathlon – Scan & Go: Alles rund um den neuen, kontaktlosen Service (https://einblicke.decathlon.de/blog/scan-go-service/)
14Capgemini – Smart Digital Stores: Warum Märkte und Filialen einen Neustart brauchen (https://www.capgemini.com/consulting-de/wp-content/uploads/sites/32/2017/09/smart-digital-stores-capgemini-consulting.pdf)
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Sina Aldejohann
User Experience Consultant