Nicht selten werden UX-Designer mit Annahmen konfrontiert, die falsch sind. Häufig werden hinsichtlich der Begriffe Usability und User Experience Aussagen getroffen, die nie hinterfragt wurden und stillschweigend angenommen werden. Kollegen, Kunden und Interessierte werfen Buzzwords aus dem UX Design in den Raum ohne die Bedeutung wirklich zu kennen. Da kann es schon mal vorkommen, dass der ein oder andere UX Designer seine Arbeit oder Entscheidung erklären muss. Das kann lustig sein, aber auch frustrierend.
Im Folgenden werden 21 Mythen zu UUX aufgedeckt und erklärt. Zusätzlich haben wir zu jedem Mythos eine Erst-Reaktion unserer UX Experten hinzugefügt.
UX Designer: „Wir sollten den Workflow und die User Experience optimieren.“
Projektleiter: „Das machen wir später.“
Ich empfehle Ihnen, lehnen Sie sich zurück und nehmen Sie die folgenden 21 Mythen mit Humor. Überlegen Sie doch einen Moment, was Ihnen als Erstes beim Lesen des Mythos durch den Kopf geht. Bei der Aussage „Das machen wir später“ handelt es sich meistens auch um einen Mythos.
„Haha, wo wird UX denn überbewertet? Eher unterschätzt.“
Obwohl User Experience Design in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, glauben noch immer einige Unternehmen in Deutschland, dass UX nicht mehr als ein Kostenfaktor ist, der überbewertet wird. Eine Studie von McKinsey widerlegt diese Annahme und zeigt, weshalb UX Design für moderne Unternehmen unverzichtbar ist. Innerhalb dieser Studie wird aufgezeigt, wie wichtig Design für Unternehmen ist. Unternehmen, die mehr in UX Design investiert haben, erwirtschafteten mehr Umsatz und lieferten ihren Shareholdern mehr Rendite.
„Puh, da hat mal wieder jemand nicht zu Ende gedacht.“
UX Designer investieren Zeit in Recherche, Usability-Tests sowie deren Auswertungen und verändern lediglich einige Kleinigkeiten am Produkt. Das mag zunächst unwirtschaftlich wirken. Langfristig gesehen steigern minimale Anpassungen jedoch den Umsatz und senken die Kosten. Zum einen können im späteren Projektverlauf Ressourcen eingespart werden, da weniger Änderungen erfolgen und zum andern fördert gute UX die Kundenbindung und dies wiederum steigert den Umsatz.
„Du bist UX Designer, dann mach mal bitte, dass es schön aussieht und übersichtlich ist. Wie oft ich das schon gehört habe.“
User Experience Design bedeutet nicht nur ansprechende Oberflächen zu gestalten, sondern den Nutzer bei seiner „Reise“ durch das Produkt zu verstehen. Es soll nachvollzogen werden, was der Nutzer von einem Produkt erwartet und wie diese Bedürfnisse am geeignetsten umgesetzt werden, um eine einfache und wünschenswerte Interaktion zu gewährleisten. So werden positive Emotionen der Nutzer hervorgerufen und das Produkt gerne und häufiger genutzt.
„Ich bin jedes Mal aufs Neue genervt, wenn jemand meint, er bräuchte einen UX Designer und ich ihm dann erklären muss, dass er eigentlich einen Visual Designer sucht.“
Visual Designer sind die früheren Grafik Designer. Der Visual Designer wurde durch die Digitalisierung der Medien geboren. Daraus entstanden weitere Abgrenzungen wie der UI Designer, Web Designer und der Interaktion Designer. Der UX Designer, wie wir ihn heute kennen, übernimmt mehrere Aufgaben der einzelnen Bereiche. Er arbeitet nutzerzentriert und holistisch. Dabei betrachtet er nicht nur einzelne Schnittstellen, sondern den gesamten Nutzungskontext.
„Äh…nö. Ein schönes UI kann eine gute UX perfekt abrunden, aber schlechte UX nicht vertuschen.“
UI’s spielen eine wichtige Rolle bei der Arbeit eines User Experience Designers, allerdings ist das nicht der einzige Aspekt. Ein gutes Interface ist nicht die Lösung, sondern kann als Ziel eines Nutzers verstanden werden. UX Design ist vielmehr eine Reise (User Journey), welche die gesamte Nutzung des Anwenders meint und sich nicht nur auf eine Ansicht beschränkt. UI Design ist ein Teil der ganzheitlichen Systementwicklung.
„Das ist einfach absurd.“
Je früher Fehler oder falsche Annahmen im Entwicklungsprozess eines Produkts aufgedeckt werden, desto günstiger ist deren Behebung. In der Forschungsphase ist es am günstigsten Fehler zu beheben. Etwas teurer wird die Fehlerbehebung im Designprozess. Am teuersten ist sie jedoch, wenn der Fehler erst beim fast fertigen oder sogar fertigen Produkt entdeckt wird. Frühzeitig in UX Maßnahmen zu investieren ist folglich eine sinnvolle Investition, um die Gesamtkosten zu senken. Es ist davon auszugehen, dass die Kosten exponentiell steigen, je später UX Maßnahmen erfolgen.
„Da hat aber jemand die letzten Jahre gewaltig verschlafen.“
Wer glaubt, es komme im Jahr 2021 nur darauf an, dass eine Technik voll funktionstüchtig ist, hat sich gewaltig geirrt. Den Endanwendern reicht es schon lange nicht mehr, dass ein System „nur“ funktioniert. Ob ein Produkt scheitert oder zum Erfolg wird, als gut oder schlecht empfunden wird, hängt von der Erfahrung ab, die der Nutzer während des Gebrauchs macht. Der Erfolg eines Produkts hängt also folglich von der User Experience ab.
„Sowas kommt dabei raus, wenn jeder meint mitreden zu müssen.“
Usability ist ein bedeutender Teil um eine gute User Experience zu gewährleisten. Allerdings ist Usability lediglich eine von vielen Teildisziplinen davon. Usability sorgt dafür, dass Nutzer ans Ziel kommen. User Experience hingegen kann als ästhetische und emotionale Erweiterung verstanden werden. Sie gibt Anwendern ein positives Gefühl während der Nutzung und führt zu einer angenehmen und bedeutungsvollen Erfahrung (Joy of Use). Genaueres können Sie hier nachlesen.
„Naja, gutes UX Design ist wie ein guter Tanzpartner, man merkt gar nicht, dass man geführt wird.“
Das ist so nicht ganz richtig. Gutes UX Design wird unterbewusst wahrgenommen, wohingegen schlechtes UX Design bewusst wahrgenommen wird. Schlechtes UX Design führt in der Regel zum Abbruch der Nutzung oder zu Frustration der Anwender, wenn die Nutzung erforderlich ist, beispielsweise im Arbeitsumfeld. Gutes UX Design hingegen sorgt für positive Emotionen und erhöht dadurch die Nutzungsdauer. Dies wiederrum bedeutet glückliche Nutzer, gute Produktbewertungen und letztlich mehr Umsatz.
„Und der Preis für den schlechtesten Zeitpunkt geht an…..“
Ein Usability-Test am Schluss ist nicht verkehrt. Es sollten jedoch schon in früheren Projektphasen Tests durchgeführt worden sein. Wer nur am Ende testet, hat die Fehler bereits umgesetzt. Um genau dies zu vermeiden, wird schon vor der Entwicklung, beispielsweise mit Prototypen oder Clickdummys getestet. Das spart am Ende nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit. Im schlimmsten Fall lassen sich diverse Fehler am Ende sogar nicht mehr beheben ohne nochmals viel Kosten zu verursachen. Den gesamten User Centered Design Prozess finden Sie hier.
„Schön wär‘s. Dann bräuchte man zudem keine User Researcher.“
Nutzer haben nicht immer Recht. Jakob Nielsen sagte einst: „First Rule of Usability? Don’t listen to Users.” Damit ist natürlich nicht gemeint, die Nutzer nicht zu befragen, sondern zu verstehen, dass Nutzer nicht immer wissen was gut für sie ist. Das bedeutet in der Praxis: Die Nutzer erst beobachten und dann interviewen. Erweiterungen oder neue Systeme bedeuten Veränderung. Diese kann bei Nutzern Unwohlsein oder Angst auslösen. Nutzer lehnen daher Neuerungen oft erstmal ab. Interagieren sie jedoch mit neuen Systemen, ändert sich dieses Meinungsbild meistens sehr schnell.
„Wann begreifen die Menschen endlich, dass UX Designer keine Ein-Mann-Unternehmen sind? Wir sind nicht die eierlegende Wollmilchsau!“
Durch die Entstehung und das Interesse an User Experience Design ist der alles könnende UX Designer geboren worden. Es sind viele unterschiedliche Berufe entstanden, die sich mit der Zeit weiterentwickelt haben. Leider herrscht in vielen Köpfen noch immer die Vorstellung, dass UX Designer alles können. Sie sollen visuelles Design beherrschen, User Research Methoden ohne Probleme anwenden können, ein Verständnis von gutem User Experience Design haben, Web Technologien verstehen und noch vieles mehr. Wer schon mal eine Stellenausschreibung eines UX Designers gelesen hat, weiß wie frustrierend das sein kann.
„Trauriger Irrglaube: Personas ersetzen kontinuierlich User Research und Testing.“
Personas sind mittlerweile eine beliebte und gern angewandte Methode. Das Problem ist allerdings, dass die Methode falsch angewendet wird. Bei Personas handelt es sich um eine Empathie Methode. Es geht vor allem darum Daten zu erheben, um dadurch besser auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen zu können. Gleichzeitig handelt es sich bei Personas um ein gutes Kommunikationsmittel. In der Praxis werden allerdings häufig Personas auf falschen Annahmen erstellt, da auf Datenerhebung, Workshops, Testing etc. vollständig verzichtet wird. Kurzum: Nicht über potenzielle Nutzer sprechen, sondern mit potenziellen Nutzern sprechen!
„Haha, das ist einer der größten Lügen überhaupt.“
Seit Begriffe wie Usability und User Experience an Popularität gewonnen haben, möchten sich auch die konservativsten Unternehmen und Agenturen mit diesen Begriffen schmücken. Obwohl es nicht einmal einen UX Designer im Unternehmen gibt, wird behauptet, nutzerzentriert an einem Produkt gearbeitet zu haben. Wer sich jedoch mit ganzheitlichem UX Design auskennt, merkt sehr schnell, dass Fachwissen im Bereich User Experience fehlt. Ebenso spüren Anwender bei fehlender Nutzerfreundlichkeit und negativen Empfindungen während der Nutzung, dass deren Bedürfnisse nie Fokus der Entwicklung waren.
„Wenn man es so handhabt, wäre es der Schritt rückwärts und bergab.“
Für viele bedeutet User Experience Design lediglich schöne Oberflächen zu gestalten. UX Design beinhaltet deutlich mehr und bedeutet eine Strategie zu entwickeln, die den gesamten Entwicklungsprozess und Lebenszyklus eines Produkts umfasst. Gutes UX Design beginnt damit, das Mindset im Unternehmen zu ändern und zu verstehen, wie das Produkt künftige Anwender nachhaltig unterstützt. Es reicht nicht, wenn eine Person nutzerzentriert arbeitet. Der User Experience Design Prozess endet nicht bei Fertigstellung der UIs. Nach dem Release folgen Nutzertests, um die Entwicklung weiterhin zu unterstützen und das Produkt stetig zu verbessern.
„Fehler zu vermeiden ist günstiger als sie zu beheben.“
Enge Zeitpläne sorgen häufig dafür, dass auf User Research verzichtet wird. Gleichzeitig sollen Ressourcen gespart werden, die später noch benötigt werden. Allerdings kann User Research parallel, als eine Art Zusatz erfolgen und spart langfristig nicht nur Ressourcen, sondern beschleunigt den Projektverlauf, da auf spätere Überarbeitungen verzichtet werden kann.
„Wenn nichts an der Anwendung Spaß macht, werden neue Features auch keinen Spaß machen.“
Heut zu Tage sind wir es gewohnt, eine große Auswahl zu haben. Wenn es mehr Auswahlmöglichkeiten gibt, muss allerdings eine Entscheidung getroffen werden. Studien belegen, dass zu viele Optionen die Entscheidungsfindung erschweren. Dies wiederum führt zu Frustration. Gleichzeitig sind Systeme mit mehreren Funktionen schwerer zu verstehen. Eine größere Vielfalt des Systems wird in der Regel solange geschätzt, bis der Nutzer das Produkt tatsächlich verwendet. Die einfachere Lösung führt dann zu größerer Zufriedenheit.
„Ich muss immer lachen, wenn Projektleiter Designentscheidungen mit den Worten, so würde ich das machen, begründen. Nutzer einfach fragen, wollen sie ja nicht.“
Kollegen aus dem Projektmanagement oder der Leitung sind häufig sehr weit von der direkten Produktentwicklung entfernt. Daher werden häufig Dinge gesagt wie: „Also ich würde so vorgehen“. Diese Herangehensweise ist bei der Produktgestaltung falsch. Auf keinen Fall von sich auf andere schließen! Vor allem wer aktiv an der Produktentwicklung beteiligt ist, blickt ganz anders auf das Produkt als ein potenzieller Nutzer. Der Anwender hat andere Intentionen und andere Ziele bei der Produktnutzung. Um diese herauszufinden, sollten Nutzer frühzeitig in den Entwicklungsprozess miteinbezogen werden.
„Wer kennt es nicht, sich am Abend mit einem Glas Wein vor den Laptop zu setzen, um erstmal gemütlich etwas zu lesen?“ (Ironie)
Nutzer suchen auf einer Webseite nach relevanten Stichwörtern und Überschriften, um schnell an die gewünschten Informationen zu gelangen. Dabei blenden sie irrelevante Informationen aus und können so in kürzester Zeit eine sehr umfangreiche Webseite überfliegen. Wenn Nutzer ernsthaft am Inhalt interessiert sind, kann es vorkommen, dass sie jedes Wort lesen. Das ist allerdings die Ausnahme. Für all diejenigen, die noch etwas vor dem Computer weiterlesen möchten, geht es hier zu unserem Usabilityblog.
„Genau, Nutzer die im Internet surfen, vergessen nämlich wie man scrollt.“ (Ironie)
Obwohl es normal ist zu scrollen, gerade bei Artikeln oder längeren Texten, setzt sich dieser Irrglaube nach wie vor stark durch. Die Mitte der 90er und der ein oder andere Design-Trend sorgten kurzweilig dafür, dass Scrollen eher unüblich war, dennoch trägt es zu Nutzerfreundlichkeit bei und ist wesentlich übersichtlicher, als Texte auf mehrere Seiten zu verteilen. Der Hauptfokus des Nutzers liegt zwar im oberen Bereich der Webseite, aber durch die Einhaltung von Gestaltprinzipien wird die Benutzbarkeit auch auf scrollbaren Seiten gesteigert.
„Ergonomie hat nicht immer was mit einem Stuhl zu tun.“
Eine ergonomische Gestaltung dient dazu, besonders benutzerfreundliche Produkte, Services und Systeme zu gestalten, die den Komfort während der Nutzung maximieren sollen. Dabei werden Physiologie und Fähigkeiten/Fertigkeiten der Nutzer im Design berücksichtigt. Dinge wie Dark-Light-Modus, Expert/Laie-Modus, eine bodentiefe Dusche mit einfachem Einstieg (auch für mobilitätseingeschränkte). Derartige Designs sind schon lange kein Branding mehr für ein unsexy Produkt, sondern ein Komfort/Luxus Produkt mit gutem Service. So kann der höhenverstellbare Tisch manch einen Kollegen schon neidisch machen.
Ganz schön viele Mythen, die im Bereich UUX kursieren und das waren gerade mal 21. Für alle UX Experten, die es Leid sind Kollegen aufzuklären, gibt es von UX Myths entsprechende Poster und Erklärungen zu weiteren Mythen. Das Poster können Sie einfach ins Büro hängen und darauf verweisen, falls ein Kollege wieder mal auf irgendeinen Mythos beharrt oder schlicht keine Ahnung hat. Teilen Sie uns in den Kommentaren gerne mit, welchen Mythen Sie im Berufsalltag bereits ausgesetzt waren. Gegebenenfalls sind in Ihrem Unternehmen neue Mythen entstanden, die Sie gerne mit uns teilen möchten. Wir freuen uns auf Ihre Kommentare auf unserem Twitter-Profil!